Instanz-Urteil im Mietrecht

Ordentliche Kündigung nach Zahlung innerhalb Schonfrist unwirksam

Negativ für Vermieter
Aktenzeichen: 1 S 81/22
Urteil vom: 22.11.2022

Landgericht Gießen, Urteil vom 22.11.2022 (Az. 1 S 81/22)


Gründe:


Die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr erstinstanzlich verfolgtes Prozessziel der Klageabweisung gegen die das erstinstanzliche Urteil verteidigenden Kläger weiterverfolgt, ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Wegen des der Entscheidung zugrunde zulegenden Lebenssachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO). Die Berufung greift die Beweiswürdigung des Amtsgerichts, wonach die Beklagte nicht bewiesen habe, dass der Kläger im Falle einer Zahlung zugesagt habe, die ordentliche Kündigung zurückzunehmen, an. Außerdem ist sie der Auffassung, dass die ordentliche Kündigung im vorliegenden Einzelfall rechtsmissbräuchlich sei. Die Kammer hat die Parteien im Termin am 01.11.2022 persönlich angehört. Wegen des Inhalts der Angaben wird auf das Protokoll vom 01.11.2022, Bl. 164 W 167 d. A., Bezug genommen.


Unter Zugrundelegung des feststehenden Sachverhalts ist das angefochtene Urteil abzuändern (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen steht den Klägern ein Räumungs- und Herausgabeanspruch nicht zu.

Nach der Rechtsprechung des BGH lässt zwar eine Zahlung innerhalb der Schonfrist nicht auch die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung entfallen, lässt aber das nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs erforderliche Verschulden in einem milderen Licht erscheinen (BGH NZM 2005, 334). Während der Mieter beim Zahlungsverzug für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat und sich deswegen auf § 288 Abs. 4 BGB nicht berufen kann, entlastet ihn im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine unverschuldete Zahlungsunfähigkeit. Der Mieter kann sich also auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe berufen. Zudem kann eine nachträgliche Zahlung zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, weil sie ein etwaiges Fehlverhalten in einem milderen Licht erscheinen lässt (BGH a.a.O.).

Vorliegend hat die Beklagte bereits drei Tage nach Ablauf der klägerseits bis zum 03.08.2021 eingeräumten Frist den Rückstand vollständig beglichen, einen Tag zuvor, am 05.08.2021, war bereits die Barzahlung der Rückstände angeboten, die aber seitens der Kläger abgelehnt wurden. Vor Ablauf der Frist, am 29.07.2021 hat der Ehemann der Beklagten einen Teilbetrag von 420,- Euro gezahlt und Ratenzahlung angeboten.

Weiterhin hat die Beklagte im Termin am 01.11.2022 unbestritten vorgetragen, dass mit dem Einzug ihres Ehemannes in die Mietwohnung verbunden war, dass dieser keinen Unterhalt mehr zahlte, aus dem sie die Mietzahlungen bestritten hatte. Ihr Ehemann sei dann arbeitslos geworden; das Arbeitslosengeld sei aber nicht gleich bezahlt bzw. in der Folge von dem Ehemann nicht auf die rückständige Miete gezahlt worden.

Diese von der Beklagten angeführten finanziellen Schwierigkeiten lassen zwar ein Verschulden nicht entfallen, weil nicht im Einzelnen dargelegt wurde, welche Anstrengungen wann unternommen wurden, um die Rückstände auszugleichen (z.B. Beantragung eines (Dispositions)Kredits; Beantragung von Unterhaltsvorschussleistungen pp). Ein Verschulden an dem Zahlungsverzug ist mithin nicht vollständig ausgeschlossen. Allerdings sind nachvollziehbare Gründe für die Säumnis genannt worden, die das Verschulden in einem milderen Licht erscheinen lassen. Auf Seiten der Kläger ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1) unstreitig von dem Vater der Beklagten beleidigt wurde, was auch der maßgebliche Grund dafür ist, dass er das Mietverhältnis mit der Beklagten nicht fortsetzen möchte. Das Verhalten des Vaters ist der Beklagten wohl auch zurechenbar (§ 278 BGB, vgl. BGH NZM 2017, 26, Rz. 17). Eine Kündigung ist hierauf aber nicht gestützt. Außerdem hat sich der Vater der Beklagten sogleich entschuldigt.

Beleidigungen der Beklagten selbst sind streitig geblieben. Maßgebliches Kriterium bleibt daher vor allem, dass der Rückstand in so kurzer Zeit von 2 bzw. 3 Tagen nach Ablauf der gewährten Frist und Kündigungserklärung ausgeglichen wurde (vgl. Schmidt-Futterer, MietR, 15, Aufl. 2021, § 573 Rz. 38). Das vorherige Zahlungsverhalten war im Wesentlichen beanstandungsfrei. Zwar gab es nach den Angaben des Klägers zu 1) im Termin einen Zahlungsverzug mit der Miete im April 2020. Er, der Kläger zu 1), sei aber benachrichtigt und die Miete dann auch bezahlt worden. Die Voraussetzungen für eine Kündigung waren offensichtlich nicht erfüllt. In Zukunft ist die Zahlung der Miete durch das Amt sichergestellt. Vor diesem Hintergrund und in Abwägung der gegenseitigen Interessen kommt der ordentlichen Kündigung kein rechtfertigendes Gewicht zu und der Zahlungsverzug ist im Ergebnis nicht als eine "nicht unerhebliche" Pflichtverletzung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu werten.

Hinzu kommt, dass nach dem von den Klägern vorgelegten WhatsApp-Verlauf des Klägers zu 1) mit dem Vater der Beklagten viel für die Richtigkeit der beklagtenseits aufgestellten und von dem Amtsgericht als nicht erwiesen angesehenen Behauptung spricht, dass die Rücknahme der Kündigung im Falle der Zahlung vereinbart war. Denn hierin führt der Kläger zu 1) an, dass der Vater den überwiesenen Betrag zurücknehmen könne, weil er aufgrund des beleidigenden Verhaltens die Kündigung nicht zurückziehen könne (WhatsApp vom 05.08.2021, 20:45).

Soweit die Kläger in dem Schriftsatz vorn 04.11.2022 neuen, insoweit nicht nachgelassenen Vortrag halten, kann dieser nicht zulasten der Beklagten berücksichtigt werden, §§ 525, 296a ZPO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision gegen das Urteil wird nicht zugelassen; die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.


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