BGH Urteil

Härtefallwiderspruch nach Kündigung bei Suizidgefahr

Negativ für Vermieter
Aktenzeichen: VIII ZR 390/21
Urteil vom: 26.10.2022

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 26.10.2022 (Az. VIII ZR 390/21) über einen Sachverhalt entschieden, in dem über den Widerspruch wegen sozialer Härte bei Äußerung einer konkreten Suizidabsicht durch den Mieter zu befinden war.


Der Bundesgerichtshof ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Mietverhältnis bei Fehlen zumutbarer Alternativen auf unbestimmte Zeit fortzusetzen ist.


Sachverhalt

Die 80-jährige Mieterin lebte seit 1977 in ihrer Wohnung. 2017 kündigte ihr der Vermieter wegen Eigenbedarfs für sich und seinen 75-jährigen Lebenspartner.


Die Mieterin widersprach der Kündigung und machte soziale Härtegründe geltend. Sie leide an einer schweren Depression und Suizidideen. Das Angebot des Vermieters, eine Alternativwohnung im selben Objekt zu beziehen, nahm die Mieterin nicht an.


Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit

Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass die Mieterin nach §§ 574, 574a BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen kann.


Nach § 574 Abs. 1 BGB könne ein Mieter einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen sei. 

Hierbei müsse das Gericht eine gründliche und sorgfältiger Sachverhaltsfeststellung sowie eine Gewichtung und Würdigung der beiderseitigen Interessen vornehmen.


Abwägung im Einzelfall

Im konkreten Fall stehe im Vordergrund, dass die Mieterin stark auf ihre Wohnung fixiert sei. Eine stationäre therapeutische Intervention lehne sie krankheitsbedingt ab. Dies reiche für eine Bejahung einer Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB aus.


Zwar sei bei der Feststellung des Vorliegens einer Härte zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und denen des Vermieters zu prüfen, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen durch die Unterstützung des Umfelds des Mieters beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern ließen. 


Es könne daher zu berücksichtigen sein, ob eine bei Verlust der Wohnung bestehende Suizidgefahr durch eine Therapie beherrschbar sei.


Fehlende Mitwirkung der Mieterin an Alternativen schadet nicht

Die Schutzbedürftigkeit des Mieters entfalle nicht allein deshalb, weil er an einer Behandlung der psychischen Erkrankung, aus der eine Suizidgefahr resultiere, nicht mitwirke


Eine solche Sichtweise würde dem in Art. 2 Abs. 2 GG enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht gerecht, das auch dann gelte, wenn der Schuldner unfähig sei, aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation angemessen zu bewältigen, unabhängig davon, ob dieser Unfähigkeit Krankheitswert zukomme oder nicht.


Deshalb würden sich die für die Mieterin drohenden Nachteile (in Form einer Lebensgefahr) auch unter Berücksichtigung des Angebots der Alternativwohnung und dessen Ablehnung deutlich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten abheben, was Voraussetzung für das Vorliegen eines Härtegrunds sei.


Vermieter ist aktuelle Wohnung weiter zumutbar

Auf Seiten des Vermieters sei zwar das die Kündigung rechtfertigende Interesse zu berücksichtigen, die streitgegenständliche Wohnung mit der von ihm und seinem Lebenspartner genutzten, angrenzenden Wohnung zu einer großen als Alterswohnsitz dienenden Wohnung verbunden werden soll.


Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Vermieter bei einer Vertragsfortsetzung zwar die von ihm gewünschte Nutzung einer vergrößerten Wohnung als Alterswohnsitz gemeinsam mit seinem Lebenspartner nicht realisieren könne und hierdurch erheblich in der Nutzung seines Eigentums eingeschränkt werde. Er habe aber dennoch mit den derzeit genutzten Räumlichkeiten eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung, die zumindest zumutbar erscheine.


Trotz des gerade auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erheblichen Gewichts der den Vermieter bei einer Vertragsfortsetzung zugemuteten Nachteile würden hier angesichts der Schwere und Ernsthaftigkeit der Suizidgefahr der Mieterin deren Interessen an einer Vertragsfortsetzung im Ergebnis diejenigen des Vermieters an einer Vertragsbeendigung erheblich überwiegen.


Fortsetzung auf unbestimmte Zeit ohne Alternative

Die Bejahung des Anspruchs auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit sei auch nicht ermessensfehlerhaft.


Aufgrund eines weiteren Zeitablaufs könne bei der unabsehbaren erheblichen Suizidgefährdung der Mieterin im Falle eines Verlusts der Wohnung kein Zeitpunkt abgesehen werden, zu dem eine Interessenabwägung zu Gunsten des Vermieters ausgehen würde und eine weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses abzulehnen wäre. 

Vor diesem Hintergrund stelle es auch unter Berücksichtigung der Belange des Vermieters eine ermessensfehlerfreie Entscheidung dar, die Fortsetzung auf unbestimmte Zeit auszusprechen.

Volltext der Entscheidung

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2022, Az. VIII ZR 390/21
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