Widerspruch gegen Kündigung bei angedrohtem Suizid des Mieters

News vom 02.05.2024
Widerspruch gegen Kündigung bei angedrohtem Suizid des Mieters Im mit Urteil vom 10.04.2024 (Az. VIII ZR 114/22) durch den Bundesgerichtshof entschiedenen Fall kündigte der Vermieter wegen Eigenbedarf. Die Mieter widersprachen der Kündigung mit der Begründung, dass die Kündigung für sie eine besondere Härte darstelle, weil ein Umzug aufgrund ihrer gesundheitlichen sowie finanziellen Situation völlig unmöglich sei. Die Mieter erklärten auch, für den Fall des Auszugs einen Suizid konkret zu beabsichtigen.

Vorinstanzen: Freier Wille der Mieter rechtfertigt keinen Härtefall


Die beklagten Mieter wurden in den Vorinstanzen auch nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Räumung verurteilt. Die Erwartung einer massiven Verschlechterung bis hin zu einer krankheitsbedingten Suizidabsicht sei nicht gegeben.


Die Beklagten seien trotz der Erkrankungen nicht lebensmüde und hätten ihren grundsätzlichen Lebenswillen beteuert. Insofern stelle sich die Suizidankündigung als im Rahmen der freien Willensbildung gewählte Reaktionsstrategie auf den möglichen Verlust der Wohnung dar, mit der die Beklagten sich gegen die Räumungsverpflichtung zur Wehr setzten. Jedenfalls könne ein solcher frei gebildeter und nicht krankheitsbedingt entwickelter Wille bei der vorzunehmenden Abwägung nicht dergestalt zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass ein Zugriff auf sein Eigentum trotz des berechtigten Eigenbedarfs auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen werde.


BGH: Konkrete und sorgfältige Einzelfallabwägung


Der Bundesgerichtshof teilt diese Entscheidung der Vorinstanzen jedoch nicht. Über die Sache sei daher neu zu verhandeln und zu entscheiden.


Für die beklagten Mieter bedeute die Räumung der Wohnung eine unzumutbare Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das Gericht führt aus, dass jedoch nur solche mit einem Umzug verbundenen Nachteile in Betracht kämen, die sich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben würden.


Eine Härte könne vorliegend nicht mit dem Argument verneint werden, dass die Suizidankündigung auf einen frei gebildeten Willen der beklagten Mieter beruhe. Eine solche Sichtweise werde dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht in der erforderlichen Weise gerecht.



Schutzpflicht des Staates bei Suizidankündigung


Der Staat habe vielmehr die Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen. Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte deshalb verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und den hieraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.


Es sei stets eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls vorzunehmen. Die alleine an den frei gebildeten Willen der Beklagten anknüpfende Sichtweise berücksichtige den Umstand nicht hinreichend, dass die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung ausschließlich durch die aufgrund des gerichtlichen Verfahrens drohende Verurteilung hervorgerufen und ihre Verwirklichung seitens der beklagten Mieter alleine von dem gerichtlich angeordneten Verlust der Wohnung abhängig gemacht werde.


Insgesamt gelte: Die Abwägung der gegenläufigen Interessen habe stets auf der Grundlage der sorgfältig festzustellenden Einzelfallumstände zu erfolgen und sich an den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls auszurichten. Dabei sei es angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse unzulässig, bestimmten Belangen des Vermieters oder des Mieters von vornherein – kategorisch – ein größeres Gewicht beizumessen als denen der Gegenseite.

Aber es gelte auch: Die Fortsetzung wegen Widerspruchs sei nach der gesetzlichen Bestimmung – im Regelfall – nur auf bestimmte Zeit auszusprechen. 

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